Quickshot - Schnellschuss vom 21.05.2001 Quickshot-Index
Buchempfehlung: Ein Schloß-Roman von Rudolf Stirn

Wie bereits dem Untertitel zu entnehmen ist, handelt es sich bei Anton Bruckner wird Landvermesser um einen Schloß-Roman, und, wie nach den ersten Seiten recht schnell klar wird, bezieht sich dies auf Franz Kafkas unvollendeten Roman Das Schloß von 1926.

Wie Kafkas Schloß (oder lehne ich mich mit dieser Theorie dilettantisch und viel zu weit aus einem längst von hochkarätigen Koryphäen aller Art besetzten Fenster hinaus?), so ist auch dieses Buch eine Art ironische und eigenwillige Parabel auf die menschliche Existenz: das Geworfensein in eine Umgebung, die einem nicht besonders behagt, aus der es aber kein Entkommen gibt. Die einen manchmal einschüchtert, auf die man manchmal versucht, aggressiv Einfluß zu nehmen, in der man durch Interaktion mit der Umwelt und ihren Gegebenheiten abgeschliffen wird und, so hofft man, sich irgendwann seiner Identität nähert. Wobei der Graf, der nie in Erscheinung tritt, von dem es aber Bilder gibt, so etwas wie eine Gottfigur darstellen könnte.

Grauhammer, Stirns Held, trägt sich im Wirtshaus ohne ersichtlichen Grund unter dem Namen Anton Bruckner ein. Über Grauhammers Vorleben wird nichts erzählt. Eindeutig ist er weder Komponist – noch Landvermesser. Als Landvermesser wird er vom Grafen angestellt, ob er nun will oder nicht. So ganz von ungefähr ist Grauhammers Eintragung als Komponist jedoch nicht – im Laufe des Buches verdichtet sich durch Überlagerungen von Einbildung und Realität der Verdacht, dass er doch etwas mit Musik zu tun hat; die Komponisten- bzw. Dirigententätigkeit bricht immer wieder wie Erinnerungen aus einem anderen Leben über ihn herein.

Zu Kafkas Roman sind zahlreiche Parallelen festzustellen, aber auch viele Abweichungen. Stirn siedelt seinen Roman in einer neueren Zeit an – Schloss und Dorf sind mittlerweile zu einer Touristenattraktion geworden, es gibt Hubschrauber – und doch herrscht insgesamt eher ein Gefühl einer verschwommen definierten älteren, sozusagen kafkaschen Zeit vor. Viele von Kafka her bekannten Personen treten auf, z.B. der Lehrer, Olga, Pepi. Manche sind von Stirn ziemlich unterschiedlich ausgestaltet, darunter die beiden Gehilfen, die hier Bassisten sind und als eine Art Dick-und-Doof-Gespann für comic relief sorgen.

Dieses Spiel mit dem kafkaschen Vorbild habe ich einerseits als amüsant und geistreich empfunden, andererseits hat es mich dazu veranlasst, den vor langer Zeit gelesenen Roman Kafkas wieder aus dem Regal zu holen, um direkte Vergleiche anstellen zu können.

Stirns knapper Roman ist eine hintergründige, dichte und spannende Variante eines Kafkaschen Alptraums. Für literarisch gebildete Leser unbedingt zu empfehlen.

Johannes Beilharz    

Rudolf Stirn Anton Bruckner wird Landvermesser, 150 S., Alkyon Verlag 1995.
Erhältlich im Buchhandel und Online-Buchhandel, z.B. Amazon. Über Rudolf Stirn.
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