War Goethe ein Russe?

Als sich die Hauptwirren der Nachkriegsjahre gelegt hatten und das Leben langsam in ruhigeren Bahnen verlief, da wollten die Kommunisten und die Besatzer einen ostdeutschen Staat gründen.

Deutsch zu sein war aber kein Vorteil in jenen Jahren!
So proklamierten die an der Oder/Neisse ansässigen Sorben, daß sie ein slawisches Volk seien und keine Deutschen.
Sie wollten einen eigenen Staat, da sie eine eigene Sprache und ein eigenes Brauchtum hätten, was nicht von der Hand zu weisen war.
Doch Einzelstaaten wurden nicht zugelassen, und nach dem spurlosen Verschwinden einiger Führer verschwand auch der Wille zur Selbständigkeit.

In Sachsen bekräftigte der hohe Demokrat Nattern auch den Anspruch des früheren Königreiches Sachsen auf einen eigenen Staat. Die Schlagzeile der Zeitungen lautete:

Wir sind Sachsen und keine Deutschen!

Diese Loslösung wollten die sowjetischen Besatzer und die KPD natürlich auch nicht haben. Das große Vorbild, die Sowjetunion, ließ eine Abspaltung keinesfalls zu, im Gegenteil!
So mußte Sachsen bei Deutschland bleiben. Der Kommunist Nattern wurde mit einem schönen Ministerposten des neuen Staates für sein Umschwenken belohnt.

Den Gipfel aber bildeten Zeitungsüberschriften jener Jahre, die da erst fragten:
          "War Goethe ein Deutscher?"
und dann behaupteten:
          "Goethe war kein Deutscher!"

Der Artikel eines deutschen Wissenschaftlers bewies die russische Herkunft einer Ururgroßmutter und leitete davon ab, daß Goethe ein Russe war, der nur zeitweilig in Deutschland lebte!

Das Volk wunderte sich mächtig, manche ärgerten sich sehr, aber der Autor machte schnell Karriere und lehrte lange als Professor an einer Universität.

Zur Autorenschaft des betreffenden Artikels stand er später jedoch nicht mehr.

Copyright © R. Zähler 1999.

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